Als geophoniker sind wir immer interessiert an spannenden, neuen Veröffentlichungen, vor allem, wenn sie von einem unserer „Hausautoren“ kommen. Stefan Sprang hat bei geophon sein Hörspiel Helden: tot veröffentlicht. Von ihm ist jetzt ein neuer Roman erschienen: Es geht um den inzwischen vergessenen Tenor Joseph Schmidt. Er hatte in den 20er und 30er Jahre in Berlin eine steile Karriere gemacht, wurde weil er Jude war in der Nazi-Zeit verfolgt und ist 1942 elend in der Schweiz in einem Internierungslager gestorben. Peter Schiborr hat diesen außergewöhnlichen Roman gelesen und ist begeistert!
Übrigens am Ende des Literaturtipps findet ihr ein Interview (insgesamt ca. 8 Minuten), das wir mit Stefan Sprang über sein Buchprojekt geführt haben.
„Ein Lied in allen Dingen: Joseph Schmidt“
Nein, kein Hollywood-Studio hat diese Biographie erfunden für einen hochdramatischen Kassenschlager. Joseph Schmidts steiler Aufstieg zu einem Superstar Anfang der 30er Jahre und sein tragischer Tod mit gerade 38 Jahren auf der Flucht vor den Nazis sind wahre Geschichte.
Jetzt widmet sich ein großer biographischer Roman dem Mann, der einst als der „deutsche Caruso“ galt. Der Essener Autor Stefan Sprang (Jg. 1967) hat ihn geschrieben. In einer kunstvollen Komposition mit einem so musikalischen wie poetischen „Sound“ reist er zurück in das jüdische „Stetl“, in dem Schmidt seine Kindheit verbracht und bereits die Liebe zur Musik entdeckt hat: „Heimlich, aber nicht still und leise hast du dich verkrümelt auch an diesem Tag. Bist vielleicht fünf oder sechs gewesen. Hast wieder pausenlos vor dich hin geträllert und gesungen, als müsstest du niemals Luft holen. Warum sprechen, wenn man auch singen kann.“
Schmidt macht Karriere im Radio
Sprang begleitet den jungen Mann in das pulsierende Berlin der 20er Jahre, in dem Schmidt sich für das neue Medium Radio „casten“ lässt. Zwischen Wolldecken und Krepppapier zur Schalldämmung beginnt er mit dem Siegeszug des Rundfunks selbst eine unglaubliche Karriere nicht nur als Operntenor. Mit Schlagern wie „Heut ist der schönste Tag in meinem Leben“ und in Filmen wie „Ein Lied geht um die Welt“ wird er ein erfolgreicher „Crossover“-Künstler.
Der Roman beginnt mit einer eindringlichen Szene: Joseph Schmidt und seine Freundin versuchen ein drittes Mal, aus Frankreich über eine gut gesicherte Grenze in die Schweiz zu fliehen: „Endlich denen entkommen, die Böses gut und Gutes böse nennen. Denen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen Tag für Tag … Endlich entrinnen denen, die Lärm zu Liedern erheben und seine Lieder verhöhnen als Lärm.“
Warum blieb er nicht in den USA?
Die Frage, warum sich Joseph Schmidt nicht schon früher in Sicherheit gebracht hat – auf zwei USA-Tourneen hatte er die Gelegenheit dazu -, war der Auslöser für den Autor Stefan Sprang, diesen Roman zu schreiben: „Ich hatte schon einen riesigen Respekt und habe mich gefragt, ob ich das überhaupt darf: mich als nicht-jüdischer Autor, der die Nazi-Zeit natürlich nur noch aus Büchern kennt, in die Gedankenwelt eines Joseph Schmidt zu versetzen.“ Aber es gab da einen zentralen Anknüpfungspunkt: Das Thema Heimat, das Eingebundensein in eine Familie, die Liebe zu den Orten der Herkunft und zur vertrauten Kultur. Einerseits gibt all das Sicherheit. Andererseits lauern hier aber auch Fesseln, wenn es darum geht, sich zu befreien, zumal, wenn die eigene Existenz bedroht ist.
Auch ein Buch zum Thema Flucht und Vertreibung
Als die Nazis die Macht übernehmen, muss Schmidt quer durch Europa von Österreich nach Belgien nach Frankreich und schließlich in die Schweiz fliehen. Dort wird er als „Illegaler“ in ein Internierungslager gesteckt unter menschenunwürdigen Umständen. „Aber weil ein fester Wind ging und sie keine Zeit hatten, sich für den Appell im Hof noch ein wärmendes Kleidungsstück mehr überzuziehen, hatten die Männer gezittert und geschlottert. Hier wie dort hatte man in den Reihen die Knochen aneinanderschlagen hören. Wer als Gerippe nach Girenbad gekommen war, wie hätte der vom Löffel Kohlpampe und den drei verkeimten Kartoffeln Fett ansetzen können.“ Gerade in diesen Passagen zeigt sich dann auch, wie stark die Bezüge dieser Geschichte zu unserer Gegenwart sind. Auch das Thema „Flucht“ spielt eine zentrale Rolle im Roman.
Fakt und Fiktion
Sprang gelingt es dabei, Schmidts Charakter in vielen Facetten zu zeigen und sich dabei der einmaligen Möglichkeit des Romans zu bedienen. So erklärt der Autor sein Vorgehen: „In der Mathematik nennt man das Extrapolieren. Aus dem, was bekannt ist, erschließen, wie es gewesen sein könnte, möglichst plausibel und nicht verstiegen oder verzerrend.“ Denn, wie könnte die Begegnung von Schmidt mit Joseph Goebbels abgelaufen sein, die es gegeben hat – Goebbels war ein Fan des Sängers und hat ihm sogar angeboten, ihm zum „Ehrenarier“ zu machen, wie man damals sagte: „Ich wollte in den bekannten Fakten die Emotionen aufspüren“, sagt der Autor.
Ein großartiger Roman
Und so gelingt Sprang tatsächlich ein brillanter und vielschichtiger Roman. In einem großen dramatischen Bogen entsteht das ergreifende Porträt eines gläubigen, so bescheidenen wie seelenvollen Künstlers, der sein Talent in den „Dienst an den Menschen“ gestellt, aber auch zu sorglos auf den sich anbahnenden Horror des Nazi-Regimes geschaut hat. Zugleich ist der Roman eine großartige Hommage an den Zauber der menschlichen Stimme, den Jospeh Schmidt mit seinem engelgleichen Tenor so sehr entfaltet hat. Oder wie der Musikkritiker Jürgen Kesting schrieb: „Schmidt singt mit leidender Inbrunst – und in seinen größten Momenten mit einer todberührten“.
Stefan Sprang: „Ein Lied in allen Dingen: Joseph Schmidt“. Roman. Größenwahn Verlag Frankfurt. 330 Seiten. 19,90 Euro.
Stefan Sprang im geophon Interview (ca. 8 Minuten):
Wie kommt man auf so ein Thema?
Was hat dich am Thema interessiert?
Du hattest ja das faktische Gerüst, musstest aber auch Szenen ergänzen. Wie bist du mit dem Spagat zwischen Fakt und Fiktion umgegangen?
Wie bist du bei der Recherche vorgegangen?
Hier eine Kostprobe von Joseph Schmidt Stimme:
Es wird im Leben, dir mehr genommen als gegeben …