Außergewöhnlich: Daniel Mendelsohn: Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich.

Es war an einem sonnigen Morgen im März 2019: In einem Hotel am Ku’damm habe ich den Autor Daniel Mendelsohn zu einem Interview getroffen. Gerade war sein Bestseller „Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich“ erschienen. Zentrales Thema: die eigene Familiengeschichte. Wie hängt die Familiengeschichte mit der Odyssee von Homer zusammen und worum geht es noch mal in der Odyssee?

Eine Odyssee von Daniel Mendelsohn

Worum es geht, kann man ganz gut zusammenfassen. Aristoteles fasst es so zusammen: „Der Held Odysseus weilt viele Jahre in der Fremde, wird ständig von den Göttern überwacht und ist ganz allein. Bei ihm zu Hause steht es so, dass Nebenbuhler seine Frau bedrängen und seinen Besitz verzehren. Nach überstandener stürmischer Reise kehrt Odysseus zurück und gibt sich zu erkennen, vernichtet seine Feinde und ist gerettet.“

Und wie hängt das jetzt mit Mendelsohns Bestseller zusammen?

Als der Altphilologe Daniel Mendelsohn an seinem Collage in New York ein Seminar über Homers Odyssee ankündigt, beschließt sein 81jähriger Vater, ein Mathematiker, an dem Seminar teilzunehmen. So kommt es zu wöchentlichen Treffen und zu einem Austausch, der über das griechische Epos hinausgeht. Eine etwas skurille Situation.

Daniel erinnert sich schmunzelnd:„Es war etwas irritierend, ihn die ganze Zeit in der Klasse zu haben, vor allem weil er mir immer widersprochen hat. Wenn man ein Seminar für Erstsemester gibt, dann muss man eine Art Autorität aufbauen, und er ist mir ständig ins Wort gefallen und hat alles, was ich gesagt habe, kritisiert.“

Odysseus und die Mendelsohns

Daniel lernt seinen Vater neu kennen. Die Figur des Odysseus verbindet Vater und Sohn, auch wenn die Meinung über den Helden durchaus auseinander geht: Für den Literaturwissenschaftler Daniel Mendelsohn ist Odysseus ein bewundernswerter Meister des Wortes, der geschickt die Sprache einsetzt, um sich aus schwierigen Situationen zu befreien. Sein Vater sieht das ganz anders.
Daniel: „Mein Vater dagegen konnte Odysseus von Anfang an nicht leiden. Er sah in ihm das, was er ja auch in gewisser Weise war: ein Verlierer und Lügner. Odysseus zieht mit einem ganzen Heer in den Krieg und kommt ohne einen einzigen Soldaten wieder nach Hause – er scheint kein besonders guter Anführer gewesen zu sein – er betont, dass er seiner Frau Penelope treu ist und schläft mit all den zauberhaften Göttinnen, die ihm auf seiner Reise begegnen. Er ist ein sehr zweideutiger Charakter.“

Mendelsohns Buch ist persönlich und authentisch

Homers Odyssee wird zu einer Folie auf der Daniel Mendelsohn die eigene Familiengeschichte erzählt. Es ist wie ein Kammerspiel: Eine geschickt verwobene Dreiecksgeschichte mit Vater, Sohn und Odysseus, ein Spiel mit den verschiedenen Ebenen. Es ist ein sehr persönliches und authentisches Buch. Die zentrale Frage: Wie kann man Identität fassen?
Daniel: „Am Ende meines Buches habe ich versucht, die Odyssee und die Fragen nach der Identität zum Anlass zu nehmen, um über meinen Vater und seine letzten Tage nachzudenken. Ist es der Jay Mendelssohn, den ich kenne, ist es eine ganz andere Person, die hier im Bett liegt, ist es eine Person mit Seiten, die nie jemand an ihm gesehen hat? Ich denke, das sind Fragen, die man sich im Leben stellen muss. Und als Lehrer für Literatur muss ich sagen: es fällt leichter über diese Fragen nachzudenken, wenn man so wundervolle Texte hat, die einem dabei helfen.“

Matthias Morgenroth
Erschienen im Siedler Verlag: Daniel Mendelsohn: „Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich.“ Aus dem Englischen von Matthias Fienbork, 26,00 Euro, 352 Seiten, ISBN: 978-3-8275-0063-2
Bild Daniel Mendelsohn: Copyright Matt Mendelsohn
Hier kann man eine Lesung aus „Eine Odyssee. Mein Vater, ein Epos und ich“ verfolgen.

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